Eine Neujahrsgeschichte

Eine Neujahrsgeschichte

Ein König im alten Persien wies seine Leute an: „Ich möchte, dass mein Fest ein wirklich königliches Fest wird. Die Gästeliste soll überquellen von illustren Persönlichkeiten. Die Tische sollen sich biegen unter Delikatessen, und der Wein soll nur aus erlesenen Trauben und besten Jahrgängen bestehen.“
Die Mitarbeiter schwärmten aus und brachten aus allen Landesteilen nur das Köstlichste. Aber der König war nicht zufriedenzustellen. „Im letzten Jahr habe ich ein durch nichts zu überbietendes Fest gegeben. Aber die ganze Stadt sprach nur von dem Fest bei Ramun, dem Maler. Da wurde getrunken und gelacht die ganze Nacht bis zum Nachmittag des nächsten Tages. Im Jahr davor war es dasselbe. Ebenso im Jahr davor und davor. Einmal muss es mir doch gelingen, diesen Wurm zu übertrumpfen, denn ich, ich bin der König.“
Einer der Mitarbeiter, ein kluger Mann, verneigte sich tief und fragte: „Mein König, habt Ihr je mit dem Maler gesprochen? Es muss doch einen Grund geben, warum die Leute sein Fest so lieben, obwohl sie in schäbiger Hütte ihre mitgebrachten Happen essen und den billigsten Wein trinken müssen.“ Der König nickte stumm und sagte: „Gut, schafft mir diesen Ramun heran.“ Und so geschah es.
„Warum lieben die Menschen dein Neujahrsfest so sehr?“ fragte der König. Worauf der Maler antwortete: „Wir sind Freunde und brauchen einander – aber mehr brauchen wir nicht. Deshalb sind wir reich.“

Wir sind reich, weil wir Freunde haben?!
Vor vielen Jahren ist mir diese Geschichte untergekommen und schon damals empfand ich sie als wesentlich für mich und mein Leben – eigentlich für alle Menschen um mich herum. Nach nunmehr fast drei Jahren einer Pandemie, die uns zwingt Abstand zu halten und ständig achtsam, (über-)umsichtig und verantwortungsvoll miteinander zu sein, habe ich nochmal einen anderen Blick auf Freundschaften erhalten. Es gibt eine gute Handvoll Menschen – Freundinnen und Freunde -, die ich als Herzensfamilie bezeichnen möchte und die mich in der Tat reich machen.
Letztes Jahr hat mich ein lieber Freund verlassen, er ist verstorben, einfach so – ohne, dass es zu diesem Zeitpunkt einer hätte ahnen können. Ich hätte noch dies und das zu sagen und zu fragen gehabt. Jetzt kann ich das nur noch in meinen Gedanken tun – die Verbundenheit auch dort halten, wo sie nicht mehr sein kann. Der Trauer einen Raum und Rahmen geben. Und ja, an diesem Verlust erfahre und verstehe ich ganz genau, welchen Reichtum diese Freundschaft bedeutete.
Wir können häufig zunächst nicht erkennen, was uns glücklich macht und stellen erst beim Fehlen dessen fest, dass es genau das war, was uns glücklich hätte machen können oder gemacht hat.
Zwei-, bzw. dreimal konnte ich nun schon meinen Geburtstag nicht feiern, da ich im November Geburtstag habe. Ein Geburtstag davon war sogar als rauschendes Fest vorgesehen, bin ich doch fünfzig Jahre alt geworden. Das Fest schrumpfte nach und nach zusammen: aus einem Fest wurde eine größere Feier, aus einer größeren Feier wurde eine Feier im allerengsten Kreis. Dann beschloss ich, nur mit Mann und Sohn essen zu gehen, bis ich schließlich niemanden eingeladen und nur zu dritt zu Hause gefeiert habe.
Und nein, nachfeiern ist keine Option! Feste wollen gefeiert werden, wie sie fallen, obwohl ich schon erwogen hatte, es wie die Queen zu halten und im Juni meinen Geburtstag nachzufeiern – mit all den Freundinnen und Freunden. Jedoch machte der durchwachsene und unplanbare Sommer auch diesen Plan zunichte.
Und auch hier wieder merke ich, wie mir dieses Fest, das Miteinander, die Verbundenheit mit allen – Familie, Herzensfamilie, Freundinnen und Freunde und Bekannte – sehr fehlt.

Und, was war denn nun?
Nun, vor einigen Jahren noch hatte ich immer mal wieder damit geliebäugelt, im Alter in ein möglichst einsam gelegenes Haus im Nirgendwo zu ziehen, mich nur noch mit Tieren und Pflanzen zu umgeben, um mich dem teils auch anstrengenden Miteinander zu entziehen.
Ich habe nun gelernt, und zwar wirklich am eigenen Leib, an eigener Seele erfahren, was es bedeutet, Herzensmenschen auf Abstand zu halten. Ich habe begriffen, dass das nichts, gar nichts für mich ist. Ich brauche Resonanz, ich brauche ein Gegenüber, eine andere Position, eine andere Meinung, eine andere Perspektive auf die Dinge, einen neuen Aspekt, den ich alleine nicht so leicht finden kann!

Es ist mein Lebenselixier, es ist nicht verhandelbar: Liebe Menschen sind wesentlich und nötig für mich und meine Seele, mein Sein!
Ich wünsche Ihnen, dass Sie ihrem wesentlichen „Warum“ näherkommen und diejenigen wenigen Dinge, die nicht verhandelbar sind, entdecken, finden und verteidigen können. Vielleicht sind das bei Ihnen ja auch andere Menschen – Herzensmenschen?
Sie können Menschen und Verbundenheit finden. Das geschieht nicht von allein: Es sind Investitionen nötig, emotionale Investitionen, Vertrauensvorschuss und Unvoreingenommenheit, wie auch eine positive Haltung dem Anderen gegenüber. Ich wünsche Ihnen, dass Sie ihren Weg hin zu einem Zueinander finden werden!
Für das Jahr 2022 und ihren persönlichen Lebensweg wünsche ich von Herzen, dass Sie das finden, was Sie suchen. Uns allen wünsche ich, dass wir ausreichend Kraft haben diese Durststrecke bis zum nächsten Fest bei Ramun, dem Maler, durchzuhalten. Und wenn nicht, dann bitten Sie doch ihre Freundin, ihren Freund um Hilfe. Die sind sicher gerne für Sie da!
Alles Liebe!
Ihre Annette Hempel

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